Zur Auslegung der 1-Jahres-Frist des § 765 Abs. 2 ABGB im Zusammenhang mit Pflichtteilsansprüchen

Mit der letzten Erbrechtsnovelle wurden diverse Gesetzesänderungen vorgenommen. Unter anderem trat die Neuregelung des § 765 Abs. 2 ABGB mit 01.01.2017 in Kraft, wonach ein Pflichtteilsberechtigter seinen Anspruch mit dem Tod des Verstobenen erwirbt, den Geldpflichtteil aber erst ein Jahr nach dem Tod der Erblassers fordern kann.
In seiner Entscheidung 2 Ob 49/19y hatte der Oberste Gerichtshof sich nunmehr erstmals mit dieser Neuregelung zu befassen.Gegenständlichenfalls hinterließ ein Erblasser einen von ihm testamentarisch eingesetzten Universalerben (seinen Bruder) und einen auf den Pflichtteil beschränkten Sohn. Eben dieser Sohn ging unmittelbar nach der rechtskräftigen Einantwortung seines Onkels und noch innerhalb der in § 765 Abs. 2 ABGB normierten Jahresfrist mittels Leistungsklage gegen den Onkel vor und begehrte den Zuspruch von rund € 500.000,00. Der Beklagte wandte die mangelnde Fälligkeit des Klagebegehrens ein, da die Jahresfrist noch nicht abgelaufen sei; während der Jahresfrist sei nämlich von einer „Klagssperre“ auszugehen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren mit der Begründung ab, dass der Pflichtteilsanspruch zwar fällig sei, die Jahresfrist gemäß § 765 Abs. 2 ABGB aber tatsächlich als „Klagssperrfrist“ aufgefasst werden müsse. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung, lies die Ordentliche Revision an den Obersten Gerichtshof jedoch mangels jeglicher höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu dieser Thematik zu. Das Höchstgericht judizierte nunmehr, dass die Fälligkeit des Anspruches jedenfalls bereits mit dem Tod des Erblassers eintrete und die Jahresfrist lediglich das Konzept einer reinen Stundung verfolge. § 765 Abs. 2 ABGB sei somit dahingehend auszulegen, dass nur die Geldzahlungspflicht des Erben auf ein Jahr nach dem Tod des Erblassers aufgeschoben sei, ein Pflichtteilsprozess aber durchaus auch innerhalb der Jahresfrist angestrengt werden könne. Für den Fall, dass ein solcher Prozess vor Ablauf der Jahresfrist beendet sein sollte, sei vom Gericht nicht die übliche 14-tägige Leistungsfrist zu bestimmen, sondern selbige so zu verlängern, dass dem Erben die gesamte Jahresfrist zur Verfügung stehe, seiner Zahlungsverpflichtung zu entsprechen.
Eine Klagssperre könne mit der Regelung des § 765 Abs. 2 ABGB nicht verbunden sein. Die Regelung beabsichtige nur, dem Erben die Möglichkeit zu geben, sich binnen einem Jahr einen Überblick über das Erbe zu verschaffen und die Liquidität zur Durchführung der Zahlung (beispielsweise durch Kreditaufnahmen) herbeizuführen. Ginge man von einer Klagssperre aus, würde dem Erben jedoch faktisch eine viel längere Organisationszeit eingeräumt, da ihm dann die Jahresfrist samt anschließender Prozessdauer zur Verfügung stünde. Mit gegenständlicher Entscheidung hat der Oberste Gerichtshof sohin die bisher bestandene Rechtsunsicherheit beseitigt und klargestellt, dass ein einjähriges Zuwarten eines Pflichtteilsberechtigten mit der gerichtlichen Einforderung seiner Ansprüche nicht notwendig ist.
| Martin Schiestl
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bucher | partner RECHTSANWÄLTE empfehlen daher allfällige Pflichtteilsansprüche zeitnahe prüfen zu lassen und gerichtlich geltend zu machen und so die Möglichkeit für den Erben, allfälliges Vermögen zu verschleudern, zu beschränken.